KindergartenKritik

Für Eltern und alle, die mehr wissen wollen

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Erst mal einfach anfangen

Bundestagsabgeordnete haben es geschafft, ein so genanntes Wachstumsbeschleunigungsgesetz zu verabschieden. Das versprochene Bundes-Kitaqualitätsgesetz hingegen gibt es nicht.

Würde das „Betreuungsplatzwunder“ und die Bildungseuphorie der letzten Jahre platzen wie Seifenblasen, wenn Politiker gezwungen wären, endlich kindgerechte Mindeststandards festzulegen? Wären die vielen pädagogischen Fachkräfte fernab der wenigen Vorzeigekitas mit den Zuständen, unter denen sie Kinder betreuen, erziehen und bilden sollen, glücklich und zufrieden – gäbe es keinen Streik. Erzieher und Erzieherinnen hätten sich nicht in einem offensichtlich hohen Maß gewerkschaftlich organisiert. Dass die Abstimmungsberechtigten aller Berufe, die zum Sozial- und Erziehungsdienst gehören, zu 93,44 % für einen unbefristeten Streik gestimmt haben, lässt ahnen, dass mehr schief gelaufen sein muss, als den etablierten Medien zu entnehmen war. Über Missstände in Krippen und Kitas wurde zu selten und nicht ausführlich genug berichtet. In den Lokalteilen der Tageszeitungen sah man stattdessen brav Urkunden in die Höhe haltende Kindergartenkinder und Berichte über erfolgreiche Brandschutzübungen.

Dass die streikenden Erzieherinnen plötzlich geldgierig geworden wären, werden selbst diejenigen nicht glauben, die die Forderungen nach einer Höhergruppierung aller Berufe des Sozial- und Erziehungsdienstes überzogen finden. Tatsächlich sind Kinderpflegerinnen und Erzieherinnen immer noch diejenigen, die ohne große Worte Kindern, deren Eltern zum x-ten Mal das Frühstück für ihr Kind vergessen haben, ein Butterbrot, einen Apfel oder eine Banane schenken.

Im Tohuwabohu kommen die „Kaffeetanten“ sowieso oft gar nicht mehr dazu, in Ruhe zu frühstücken. Würden sie so viel Kaffee trinken, wie ihre Kritiker behaupten, müsste  eigentlich eine Reihe von Krippenkindern Verbrühungen erlitten haben, denn die Gruppen sind voll und vor allem die Zweijährigen möchten kreuz und quer rennen und immer wieder überraschend ihre Erzieherinnen stürmisch umarmen.

Auch wenn viele Kinder quietschvergnügt wirken: Es ist längst nicht alles in Ordnung in Krippen und Kitas! Kinder und diejenigen, die sich dort um ihr Wohlergehen kümmern, verdienen Besseres! Lässt man wenige Erzieherinnen zu große Kindergruppen betreuen, kommen zwangsläufig Kinder zu kurz. So viele Kinder, dass diese irgendwann nur noch glauben können, es sei alles normal, was um sie herum und mit ihnen geschieht. (Das Problem ist nicht neu!)

Bloß weil Krippen oder Kindertagesstätten evaluiert wurden und Zertifikate vorzuweisen haben, werden dort nicht unbedingt Premium-Bedingungen für eine bessere Kindergartenzeit geboten. Waren es nicht die ersten „bilingualen Krippen“, in denen oftmals auf das eigene Außengelände für Kinder verzichtet wurde? Kindergärten ohne Garten? – Hauptsache die „Rendite“ stimmt?
Eltern von Kindergartenneulingen merken erst während der Eingewöhnungsphase ihres Kindes, was sie sich und ihrem Kind durch die frühe Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes in Zeiten des eklatanten Personalmangels antun. Kleinkinder, die in der Kita nicht die Zuwendung bekommen konnten, die sie gebraucht hätten, verfolgen ihre Eltern auf einmal daheim auf Schritt und Tritt. Manche weinen gar im Schlaf.  „Durchhalten“ ist angesagt. „Die Erzieherinnen haben gesagt, dass er sich nach unserem Weggehen ganz schnell beruhigt.“ Eine Standardantwort, die stimmen kann oder nicht und die um ernüchternde Informationen ergänzt werden sollte. Die Finanzierbarkeit mancher Kita hängt davon ab, ob für genügend Ein- und Zweijährige die 45-Stunden-Betreuung gebucht wurde. Erzieherinnen arbeiten nicht selten auf befristeten Stellen oder in Teilzeit. Abmeldungen tangieren den Personalschlüssel. – Nicht nur Eltern haben Angst um ihren Arbeitsplatz…

Diejenigen, die sich in den nächsten Jahren über Nachwuchs freuen würden, tun vermutlich gut daran, vor dem Tapezieren des Kinderzimmers, der Anschaffung eines Buggys und dem Kauf von niedlichen Söckchen eine Prioritätenliste aufzustellen. Es gibt Wichtigeres als ein noch nicht geborenes Kind gleich nach dem Tapezieren in einem „Haus der kleinen Forscher“, einer zweisprachigen Krippe  oder einem dreistöckigen Familienzentrum anzumelden. Fragen Sie doch ruhig mal Erzieherinnen, ab welchem Alter und für wie lange sie ein eigenes Kind in einer Krippe oder einem Kindergarten betreuen lassen möchten!

Politik und Wirtschaft haben die Voraussetzungen geschaffen, dass sich im Elementarbereich ähnliche Missstände etablieren, wie sie in der Alten- und Krankenpflege seit Jahrzehnten geduldet werden. Jede Vollzeitbetreuung ist mit Schichtdienst verbunden. Kinder werden unter Zeitdruck gewickelt. Es muss regelmäßig dokumentiert werden, im „wertsch(w)ätzenden Stil“! – Bloß nicht Tacheles reden. Nur wenn alle wegschauen und schweigen, kann das System ungestört versagen.
Nicht immer, aber immer wieder… Nicht überall, aber durchaus auch dort, wo niemand damit gerechnet hat.

Ein Auszug aus einem Beitrag von Gelöschter User » 20. November 2012, 20:36, eingestellt im Forum für Erzieher- /innen:

 

„Erst gestern habe ich eine Schülerin in einer (neu eröffneten) Krippengruppe besucht, die im Intensivraum einer Kindergartengruppe untergebracht wurde: Gesamtfläche ca. 12qm, freie Bodenfläche etwa 2qm, darin untergebracht: Tische, Stühle, Regale, Wickeltisch(!), mehrere Töpfchen(!) und ein Regal mit Spielzeug. „Bewohnt“ wird dieser Raum von 8 Kindern zwischen 0,9 und 2,4 Jahren, 1 Erzieherin und einer SPS-Praktikantin im ersten Jahr. Der Kindergartenraum nebenan ist mit 28 Kindergartenkindern voll belegt und muss durchquert werden, wenn man nach draußen oder zur Toilette möchte.

Der Stress in diesem Raum war förmlich zu riechen, als ich die Tür öffnete. Und auch, wenn solch extreme Bedingungen doch glücklicherweise die Ausnahme sind, fristen viele Krippenkinder in Umgebungen, die nicht für sie vorbereitet wurden, ihren Krippentag.“

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