KindergartenKritik

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Jojoba

„Unsere Kinder sind unser größter Schatz, unsere kostbarsten Juwelen und wir lieben sie mehr als alles andere auf der Welt.“ Das ist die Lebenseinstellung der Eltern einer neunköpfigen Kinderschar im reichhaltig und witzig illustrierten Bilderbuch „Jojoba“ von Anne Wilsdorf.
Auf amazon wurde bereits treffend darauf hingewiesen, dass es sich um eine „umgekehrte Adoptionsgeschichte“ handelt.

Jojoba_thumbEine kinderreiche afrikanische Familie nimmt – ganz unbürokratisch – ein weißes Findlingskind wie ein eigenes an. Anders als sonst üblich, geht der „Adoptionswunsch“ jedoch nicht von den Eltern, sondern von ihren Kindern aus. Sie wollen das von Schwester Farafina im Urwald vor einer Schlange gerettete Kind behalten und auf keinen Fall an Tante Drosera abgeben. „Lieber lege ich das Baby wieder in das Schlangenmaul zurück!“ meint die selbstbewusste Farafina gar.

Das Buch vermittelt kein realistisches Bild vom heutigen Afrika. Auf 32 bunten Seiten bietet es stattdessen Spannung, unglaublich selbstbewusst agierende  Kinder und ein Happy End.
Ist das Buch „politisch korrekt“? Passt es zu den Bildungsplänen?

Erzieherinnen mögen sich beim ersten Ansehen des Bilderbuchs insgeheim fragen, ob sie „Jojoba“ im Kindergarten einsetzen können. Bilder und Text sind auf vielfältige Weise interpretierbar. Die korpulente Mutter der recht autark lebenden Familie, bunt gekleidet und ein Tuch zum Turban gebunden auf dem Kopf – ist offensichtlich keine Karrierefrau. Eher eine „Vollblutmutter“…
Könnten dem Feminismus zugetane Mütter mit oder ohne Migrationshintergrund nicht geradezu entsetzt sein? Undenkbar, dass ein derartiges Buch in China erschienen wäre, dem Land, in dem jahrzehntelang eine rigorose Ein-Kind-Politik betrieben wurde, die auf legale Weise zahlreiche im Land geborene Kinder ihrer Staatsbürger zu Illegalen gemacht hat.

In Deutschland, hingegen, wo schon Kindergartenkinder mitbekommen, dass manche Erwachsene für und andere gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sind, könnte gerade jetzt dieses Buch viele Impulse für interessante Gespräche mit Kindern bieten. Wie viel – aber auch wie wenig brauchen wir um menschenwürdig und angenehm leben zu können?

Das 1999 erstmalig bei Lappan erschienene Bilderbuch zeigt vereinfacht und anschaulich, dass eine Menge zu schaffen ist, wenn alle anpacken. Fix ist ein pinkfarbenes Kleidchen mit Puffärmeln genäht. In ihm sieht das kleine Mädchen „zum Anbeißen aus  – wie ein Bonbon im Bonbonpapier“.  Alle Kinder sägen, hobeln, bohren, schleifen, schrauben und nageln. Und als das Baby in der Nacht in seinem prächtig und phantasievoll gestaltetem Kinderbett vor Fieber glüht, bringt die Familie es gemeinsam, allen voran eine offensichtlich besorgte Mutter, zum Arzt. Dort erklärt der Vater dem Doktor: „Sie müssen verstehen, unsere Kinder sind unser größter Schatz, unsere kostbarsten Juwelen und wir lieben sie mehr als alles auf der Welt.“

Würde nicht hinter dem Arzt ein Skelett sitzen, dessen Unterarm auch noch um dessen Hals gelegt ist, könnte man meinen, die Geschichte sei verkitscht, denn die Bilder sehen eben einfach danach aus. Doch Anne Wilsdorf sorgt in Text und Bild unermüdlich für Entwicklungen, die Kindern kluge Fragen entlocken, aber auch ein Stillsein und Grübeln auslösen können. Vor allem aber wirkt die Geschichte ermutigend und enorm erheiternd!

Nachdem die mutige Farafina mit drei gezielten Stockschlägen ein Baby vor dem gefräßigen Maul einer riesigen Würgeschlange gerettet hat (die Lieblingsstelle vieler Jungen und Mädchen), entdecken die Kinder immer wieder interessante Details. Wie schlau von den Affen, die tote Schlange als Rutschbahn zu nutzen! Ein Äffchen traut sich, mit einem Finger vorsichtig die Augen der toten Schlange zu berühren, die nun fast freundlich aussieht. Als Farafina mit dem Baby schäkert, wird dessen Hinterkopf von ihrem Hund abgeschleckt und Kinder wissen „Auch der Hund mag das Baby.“

Zügig geht das Leben weiter. Mit dem Baby in einer Blättertasche, um die sie wiederrum die tote Schlange geknotet hat, bringt Farafina ihrer Mutter nebst einen üppigen Strauß Jojobablüten ein ganz besonderes „Geburtstagsgeschenk“… (das später „Jojoba“ genannte Baby)

Ein Baby als Geschenk? – Noch nie habe ich erlebt (und ich habe das Buch in vielen Kindergärten vorgelesen), dass ein Kind die entsprechende Stelle kritisch hinterfragt oder gar beanstandet hätte. Während die Milch für das zunächst noch namenlose „wunderniedliche“ Baby warm gemacht wird, zeigen Wilsdorfs Illustrationen, was die Tiere in der Geschichte den Menschen vorleben. Sanft und selig blickt ein molliges Schweinchen auf den kleinen Hund, der bei ihm liegt und an einer Zitze saugt. Auch die Kuh lässt zu, dass eine Katze Milch aus ihrem Euter holt. Über ihr sitzt ein Affe und genießt es, zwei bunten Vögeln, die ihre Schnäbel aufsperren, Würmer zu spendieren. Wer etwas braucht, soll es bekommen. Eine ganz einfache Botschaft, die bei Kindern ankommt und ihnen zeigt, dass Helfen Freude macht.

Übersetzt aus dem Französischen wurde die 1998 bei Kaléidoscope erschienene Originalausgabe durch Nina Schindler. Der Sprachdukutus der Übersetzung trägt mit dazu bei, dass selbst unter Dreijährige der melodischen Geschichte gern zuhören, auch wenn diese vom Verlag Beltz & Gelberg für Kinder ab 3 und auf amazon für Kinder zwischen 5 und 7 empfohlen wurde.

Nachdem die 1999 bei Lappan erschienene großformatige Erstausgabe von „Jojoba“ vergriffen ist, besteht aktuell die Möglichkeit, über den Verlag Beltz & Gelberg eine günstige Taschenbuchausgabe zum Preis von 5,95 Euro zu erwerben.

Eine Antwort zu “Jojoba”

  1. Katharina sagt:

    Am besten gefiel mir die Stelle, in der Farafina damit drohte, dass Baby lieber zurück in das Maul der Schlange zu legen – bevor sie zulassen würde, dass es zu ihrer schrecklichen Tante Drosera kommen würde.

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