Erzieherinnen und die Mathematik
ASMUS
Irmgard, wie ist das Verhältnis von Erzieherinnen zur Mathematik?
IRMGARD
Wie kannst du mir nur eine solche Frage stellen? Ich bin keine Berufsgruppe. Du, als zukünftiger Wissenschaftler willst bestimmt, dass ich etwas Dummes sage.
– Um es dann als unzulässiges Pauschalurteil zu zerpflücken!
© S.H.exclusiv – fotolia.de
ASMUS
Irmchen, bitte! Ich habe gar nicht vor, dich zu kritisieren.
IRMGARD
Von mir erfährst du nichts. Nicht ein knackiges Vorurteil! – Erforsche gefälligst einfach deine eigene Meinung.
ASMUS
Na gut. Erzieherinnen haben kein Liebesverhältnis zur Mathematik. Erzieherinnen lösen lieber einfache Kreuzworträtsel als knifflige Sudokus.
IRMGARD
Kann sein.
ASMUS
Alles ist wichtig. Ob ein Mensch lieber duscht oder badet, ob er Kreuzworträtsel bevorzugt oder Sudokus, ob er Schweinshaxe in sich rein stopft oder lieber verzierte Marzipantörtchen mag…
IRMGARD
Meine Nicht-mehr-lange-Chefin sieht nach Schweinshaxe aus und du weißt, dass es mich aggressiv macht, wenn du von Marzipantörtchen sprichst und mir nix anbietest. – Ich möchte jetzt gaaanz viel…
ASMUS
Du beantwortest also Fragen gegen Marzipankonfekt?
IRMGARD
Meine Affinität zu Zahlen, Gewichten und Geld ist gut. Wie viel Gramm bietest du? Wenn du mir vom Weihnachtsmarkt wieder Marzipan mitgebracht hast, singe ich sogar für dich.
ASMUS
Mit Rücksicht auf deine Figur habe ich nur 250 g mitgebracht, von der feinsten Sorte.
IRMGARD
Danke. Bei 200 Gramm für mich, bin ich zu hundert Prozent gnädig gestimmt.
ASMUS
Hrrmm-Hrrmm. Wie konkret zeigt sich die mathematische Förderung der Kids im Alltag? Wie kommt diese Förderung bei ihnen an?
IRMGARD
Okay, ein praktisches Beispiel: Letzte Woche wurde der Adventskalender für die Kinder der Entenklasse aufgehängt. – Tut mir leid, für den Namen kann ich nichts.
ASMUS
Und dann?
IRMGARD
Der Adventskalender enthält in diesem Jahr für jedes Normalo-Nichtallergikerkind eine 35-Gramm-Kugel Nugat. Für die Allergiker gibt es leider nur eine Art Gesundheitsklops in Goldfolie. – Weil der Nugat absolute lecker ist, hat unser Björn nach der ersten, ihm feierlich von der Leiterin der OGS überreichten Kugel, sich später noch illegal eine zweite einverleibt.
ASMUS
Was hat das mit Mathematik zu tun? Der Björn wurde ausgeschimpft, aber selbstverständlich nicht geschlagen. Und für das beklaute Kind wurde ebenso selbstverständlich noch eine Ersatzkugel in den Adventskalender gehängt.
IRMGARD
Ja. Aus dem Fressalienkorb, den wir im Personalzimmer stehen haben. Und so ähnlich läuft es in Tausenden von Kindergärten und Schulen ab! Im Konflikt, ob wir die Kinder pädagogisch wertvoll zur Kinderkonferenz oder einem Training der sozialen und emotionalen Kompetenzen bitten – oder ob wir sie erst mal primär nur mathematisch fördern, siegt meistens Variante Nummer eins.
ASMUS
Oh je.
IRMGARD
Ja. Ein Schokoladenkugelklauer bekommt zwei Adventspäcklein, für die er die Ki-Ko oder das Benimmtraining auf der linken Backe absitzt. Er profitiert von seiner Aktion. Klauen lohnt sich im System. Ein Kind, das sich großzügig bedient, kommt regelmäßig in den Genuss einer optimierten Teilmenge.
ASMUS
Tja. Und was sagt ihr dazu?
IRMGARD
Nichts. Das Wesentliche sagen wir jedenfalls nicht! – Erzieherinnen ziehen erst mal einen Flunsch. Das kann man gut, wenn man von Bruchrechnen keine Ahnung hat. Und wenn dann noch ein betrübter Blick an die Wand fällt, dahin wo das Plakat mit den Gruppenregeln hängt, dann opfern sich ein paar Kinder. Meistens Mädchen. Sie sagen, wie traurig sie sind, dass ein Kind gegen die Gruppenregeln verstoßen hat.
ASMUS
Ansonsten passiert nicht viel? Außer dass alle Hyperaktiven mit den Füßen scharren, weil sie woandershin wollen.
IRMGARD
Vielleicht scharren unsere Kids aber auch nur mit den Füßen, weil sie nach mathematischer Förderung lechzen… Vielleicht macht große Sehnsucht nach Mengenlehre sie zu Räubern…
ASMUS
Und ignorante Erzieherinnen verhalten sich grundsätzlich so, als seien sie niemals Zeugen einer zum Himmel schreienden Ungerechtigkeit geworden. Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen füllen bloß Lücken in selbst gebastelten Adventskalendern. Anstatt gefälligst wie eine blinde Justitia für einen gerechten Ausgleich zu sorgen, fördern sie sehenden Auges Kinder zu Deppen. – Es ist irre!
IRMGARD
Nein. So etwas ist normal in Klein-Pädagogien. Welche Alternative hätten Erzieherinnen und Grundschultanten denn?
ASMUS
Also, wenn allen Jungen und Mädchen klar wäre, dass jemand, der nur einmal beklaut, die doppelte Ration einstreicht, müssten die unschuldigen Kinder gerechterweise eine Verdoppelung ihrer Ration gegenüber der des Täters verlangen.
IRMGARD
Ja, und wenn einmal ein derartiges Bewusstsein in Kindern auf eine sinnliche Weise erzeugt würde, würden die Kinder sich in Zukunft – ohne jedes evaluierte Kompetenztraining – verbünden! Sie wählen ein Kind, das besonders viel verschlingen, kann zum Plätzchen- oder Schokoladendieb, lernen Prozentrechnen, gründen Aktiengesellschaften und werden zu listigen Kommanditisten und was es auf dem Sektor noch alles gibt!
ASMUS
Ich verstehe. Doch dank einer mathematisch maßvoll begabten Pädagogencrew und der noch nicht verbotenen Stuhlkreissitzerei wird in Kitas und Ganztagsschulen ein wichtiger Beitrag zur flächendeckenden Verdummung geleistet.
IRMGARD
Ja. Ist das nicht perfide? Die folgsamsten Kinder werden mit dem Gedanken infiltriert, Mathematik sei nur für die Schule wichtig.
ASMUS
Echte Gier nach Wissen wird im System nicht belohnt.
IRMGARD
Stattdessen wird die Ausbildung von Habgier unverhältnismäßig begünstigt. Hast du noch etwas Marzipan für mich?
ASMUS
Ich finde, du hast jetzt genug.
IRMGARD
(Dezember 2013)
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