Help! Hilfe! SOS!
Tobias hatte mit Kuli gezeichnet, was am zweiten Weihnachtstag geschehen war. Nachdem er einen kritischen Blick auf sein Bild geworfen hatte, zeichnete er mehrere Sprechblasen hinein. Er lächelte zufrieden. Es war allein seine Idee gewesen.
Hohe Wellen und Menschen, die um ihr Leben kämpften und Angst hatten. „Kannst du da was für mich reinschreiben?“ – Er diktierte: „Help!“, „Hilfe!!!“, „SOS!“, „Hilfe, wir saufen ab!“ – Für „Tsunami hör auf!“ gab es keine Sprechblase mehr.
TOBIAS
Dass der Schlaf von Tobias während seines ersten Lebensjahres überwacht worden war, habe ich im integrativen Kindergarten im Rahmen eines Teamgesprächs erfahren. Es gab noch keine „verpflichtenden Dokumentationen“ zu jedem Kind. In einen Aktenordner zu gucken, war für Erzieherinnen keine Selbstverständlichkeit.
Dass sich viele Menschen intensiv um Tobias als Frühchen bemüht und auf sein Überleben und seine Gesundheit gehofft und dafür gearbeitet haben, war gewiss eine prägende Kindheitserfahrung. Als ich ihn kennenlernte, fiel er durch ein herzförmiges Gesicht und einen zarten Körperbau auf, aber er hatte er sich bereits zu einem lebhaften, manchmal sogar wilden Jungen entwickelt.
„Help!“, „Hilfe!!!“ , „SOS!“, „Hilfe, wir saufen ab!“
Spätsommer 2015: Das Bild des tot an den Strand von Bodrum gespülten Jungen mit dem roten T-Shirt und der blauen Hose ging um die Welt. Er wurde nur drei Jahre alt.
Die Erinnerungen an Tobias sind nicht verblasst. Wenn ich an ihn denke, ist mir so, als ob wir erst letzte Woche gemeinsam am Maltisch gesessen hätten. Mittlerweile wird es Bartwuchs und eine tiefe Stimme haben. Er wird nicht mehr so hellblond sein, aber an seinen strahlend blauen Augen könnte ich ihn vielleicht noch erkennen.
Besonders zart waren die Hände von Tobias, deren Kuppen so genannte „Beeren“ aufwiesen. So bezeichnen Handdiagnostiker jene „Tropfen“, die an den Händen besonders sensibler Menschen zu entdecken sind, wenn man ihre Fingerkuppen von unten betrachtet.
Angesichts der Empfindsamkeit von Kindern werde ich nie verstehen, warum sich in der Erzieherausbildung ein derart hässliches Wort wie „Grobziel“ etablieren konnte. Die Fachsprache der Erzieher empfinde ich immer wieder als würdelos. Neue, hässliche Fachausdrücke kommen und sollen benutzt werden.
An den Erzieherfachschulen hält man den Nachwuchs im Beruf dazu an, Kinder „systematisch“ zu beobachten. Es ist von „Zielkindern“ und „Zielkindbeobachtung“ die Rede.
Es gibt aber keine Zielkinder. Tobias war für mich immer nur ein Lieblingskind.
Siehst du mich noch oder dokumentierst du schon?
Auch andere Kinder haben am zweiten Weihnachtstag 2004 über das Fernsehen erfahren, dass ein Tsunami Menschen getötet, verletzt und obdachlos gemacht hat. Wenn Kindern noch die Worte fehlen, etwas zu sagen, nehmen sie ihre Hände um sich auszudrücken.
Was Tobias gezeichnet hatte, wurde nachgeahmt. Andere Kindergartenkinder erinnerten sich. Die Kinder stellten Fragen. Natürlich wollten sie helfen. Alle die am Tisch saßen! Nicht nur Tobias.
Unsere Gespräche mit den Kindern wurden weder vor- noch nachbereitet und mit keiner Webcam aufgenommen. Sie fanden nicht im Rahmen einer Kinderkonferenz oder eines Projekts zur Förderung sozialer Kompetenzen statt.
Nachdem die Kinder zunächst Geld für die Opfer des Tsunami sammeln wollten, griffen sie nach nicht mal zwei Minuten die Anregung einer Kollegin voller Begeisterung auf. „Ja, ein Flohmarkt! Wir wollen einen Flohmarkt machen!“
Klar. Geld sammeln und zusätzlich noch weiteres Geld einnehmen, war besser als nur auf eine Weise etwas davon zu erhalten. So jung die Mädchen und Jungen auch waren, sie wussten schon, dass Geld wichtig ist und manchmal sogar lebenswichtig sein kann.
Als die Kinder in der Garderobe ihres Kindergartens, einem Raum, der Platz für das Aufstellen von zwei Kindertischen bot, ihren Benefiz-Flohmarkt abhielten, konnten sich die Eltern beim Bringen und Abholen der Kinder eigene Bilder machen. Eltern, die sich interessiert die angebotenen Waren ansahen, wurden zum ersten Mal von den Freunden ihrer Kinder gesiezt. „Wollen Sie auch noch ein Buch kaufen?“ – „Oder das hier?“
Nach dem Ende der Bringzeit mochten die meisten Kinder den Garderobenraum noch nicht verlassen. Diejenigen, die gingen, kehrten immer wieder zurück. Geld wurde gezählt. Immer wieder. Und da die Kinder ab und zu einen Passanten auf dem Bürgersteig ansprachen und so neue Kunden gewannen, stieg die Summe des Verkaufserlöses.
Man hätte die Aktion – um die Ausdrucksweise mancher Fachschullehrer aufzugreifen – „verschriftlichen“ können. „Verschriftlichen!“ – Eine Pflichtaufgabe im Sinne der frühkindlichen Bildung…? Als ob es wichtig wäre, der Vergangenheit mehr Gewicht zu geben als dem Augenblick.
Immer wieder saß eine Erzieherin inmitten der Kinder hinter den Verkaufstischen auf einem kleinen Stuhl. Ein Kind auf dem Schoß und ein oder zwei Mädchen fummelten vielleicht in ihren Haaren herum, weil sie Zöpfchen flechten wollten. So genau weiß ich es nicht mehr. Nur dass es keine Sekunde langweilig war und die Kinder sich wie Kinder benommen haben, die am Leben in der Welt Anteil nahmen.
Ein Flohmarkttag reichte den Kindern nicht. Am zweiten Tag kamen neue Waren hinzu. Kassetten, die sie nicht mehr hören wollten, aber auch Spielzeug, von dem die Trennung schwer fiel. Ein Kinderwunsch an die beste Freundin: „Bitte kannst du das kaufen, weil, weil – ich will damit noch mal spielen.“ Die Kinderfrau eines behinderten Jungen spendete Filzbälle. Die noch feuchten Bälle waren eigens für den Wohltätigkeitsbasar hergestellt worden. Besonders nass und besonders beliebt war ein schwarzer Ball. „Der sieht aus wie eine Kanonenkugel. Kaufst du mir den?“
Immer wieder kauften die Erzieherinnen Kleinigkeiten. Die Kinder zählten das Geld aufs Neue. Sie wollten viel Geld haben, um alles wegzugeben. Als ein Vater großzügig einen Schein in die Sammeldose steckte, aber nichts kaufte, schienen einige Kinder ihn für nicht allzu nett zu halten. „Aber Sie wollen doch auch etwas kaufen, oder?“ Der Mann kaufte nichts. „Sie haben noch gar nichts gekauft!“ – Manchmal ist es für Kinder unmöglich, Erwachsene zu verstehen.
Als die Waren fast alle verkauft waren, wurde das Geld nochmals gezählt. Anschließend hat eine Erzieherin im Stuhlkreis den Kindern die Namen einiger Wohltätigkeitsorganisationen vorgelesen. Das Rote Kreuz kannten ältere Kinder dem Namen nach. Es wurde abgestimmt. Das Rote Kreuz wurde gewählt.
Später gingen Tobias und sein bester Freund als „Abgeordnete“ mit der Praktikantin zur Bank. Die erste Bareinzahlung. 80 Euro, eingenommen und gespendet von lauter Lieblingskindern…
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